Wir Populisten

WM 2014 Feier Brandenburger Tor
Teaser Bild Untertitel
Ist "Schweini" schon Kanzler? WM-Feier am Brandenburger Tor

Geert Wilders in Holland, der Front National in Frankreich, Jobbik in Ungarn: Der Blick auf die schrecklichen Anderen konnte nicht wirklich davon überzeugen, dass wir die Guten sind. Mit dem Erfolg der AfD ist es raus: Wir sind's nicht.

Vor zwei Jahren erschien der Band „Rechtspopulismus in Europa“, dessen Mitherausgeber die Heinrich-Böll-Stiftung war. Da ich die Aufgabe hatte, einen Teil der Beiträge aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen, konnte ich mich während der Arbeit so richtig schön schütteln über die Zustände, die doch in großen Teilen unseres Kontinents herrschen. Dieser Wilders in Holland, der Vlaams Belang in Belgien und der Front National in Frankreich – brr! Die Schwedendemokraten, die Wahren Finnen, die Dänische Volkspartei – da wird unser schönes liberales Nordeuropa angeknabbert. Und dazu noch die Entwicklungen im „Osten“ (sprich in Mitteleuropa): Jobbik in Ungarn und Ataka in Bulgarien – widerlich! Da konnte man mit dem Finger über die gesamte europäische Landkarte gehen, und kaum ein Land hatte eine weiße Weste, fast nur unser schönes Deutschland.

Zum Glück habe ich dem Volk, dem ich angehöre, noch nie getraut, was mich unter anderem davor bewahrt, die Außenspiegel unseres Autos schwarz-rot-gold einzukleiden und Bastian Schweinsteiger für den Bundeskanzler und Philipp Lahm für den Präsidenten unseres Landes zu halten. Deshalb konnte mich auch schon während meiner Übersetzungsarbeit der Blick auf die schrecklichen Anderen nicht wirklich davon überzeugen, dass wir die Guten sind. Nun ist es raus: Wir sind's nicht.

Seit den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist der Rechtspopulismus auch bei uns in nennenswerter Stärke angekommen, und man darf das zunächst so kommentieren: Willkommen in der europäischen Normalität. Eigentlich war es ja schon seit den Europawahlen klar, aber Europawahlen sind nach wie vor eine diffuse Sache. Noch immer macht es doch einige Mühe, den Europäischen Rat von der Europäischen Kommission zu unterscheiden und diese wiederum vom Europäischen Parlament. Man weiß auch nicht so genau, wer da was entscheidet und ob überhaupt. Im eigenen Land geht es aber ums Eingemachte, und auch wenn bei uns viele Leute nicht wissen, was den Bundesrat vom Bundestag unterscheidet und diesen wiederum von einem Landtag, weiß man doch, dass solche Wahlen vielleicht irgendwie mit den eigenen Interessen zu tun haben und dass sich die traditionellen Parteien genau darum nicht mehr kümmern.

Die schöne, abgeschottete Idylle

Also wählt man die Populisten, die „rechte“ Vorsilbe lasse ich jetzt mal weg. Wenn es um Populismus geht, greifen nämlich all die Theorien über den „rechten Rand“ überhaupt nicht. Das wurde mir spätestens klar, als ich im Fernsehen einen in Ehren ergrauten DDR-Veteranen sah und seine Erklärung hörte, warum er die AfD gewählt hatte. Es ging ihm erstens darum, die Kriminalität einzudämmen, wobei ich mir den begnadeten Anticharismatiker Bernd Lucke nur schwer als Sheriff vorstellen kann. Aber immerhin hat der AfD-Chef auf Wahlkampfveranstaltungen die DDR indirekt als Modell für die innere Sicherheit gepriesen.

Zweitens wünschte sich der befragte AfD-Wähler, dass in Zukunft die Grenzen sicherer werden „und nicht so viele Menschen einfach reinkommen können“. Man muss dazu sagen, dass der gute Mann bei Frankfurt/Oder lebt und natürlich die Grenze zu Polen meinte. Mensch, habe ich mir da spontan gedacht, das lässt sich aber leicht einrichten. Man braucht doch nur die guten alten Grenzen von vor 1989 wieder aufzurichten, Berliner Mauer inklusive, die waren wirklich sicher. In Marienborn und an einigen anderen Übergängen stehen gedenkhalber ja noch ein paar alte Wachttürme. Und dann findet man einen würdigen Nachfolger für die beiden Erichs, Honecker und Mielke – da gibt es doch sicher geeignete Kandidaten –, dann klappt's auch mit der Sicherheit. Wenn sie ihre schöne, alte abgeschottete Idylle wiederhaben wollen, dann gebt sie ihnen zurück.

Hoppla, habe ich im nächsten Moment gedacht, da bist du jetzt aber voll in die Populismusfalle gelaufen. Kein „Rechtspopulismus“, sondern Wessipopulismus, und der geht etwa so: Sie kapieren es einfach nicht, die Ossis, wie das geht mit der Demokratie und der Freizügigkeit. Sollen sie uns doch in Ruhe lassen und in ihren guten alten Staat zurückgehen, da können sie machen, was sie wollen, Braunkohle abbauen und Vietnamesen verhauen. Sie brauchen auch niemanden reinzulassen, denn da will sowieso keiner hin. Sagt der Wessipopulist und macht es sich gemütlich in seiner demokratieerprobten Überlegenheit. Wir sind die Guten, sagt er – wie jeder Populist. Aber nun warten wir mal die Bürgerschaftswahlen in der Freien und Hansestadt Hamburg ab, wo Bernd Lucke ja beurlaubter Professor an der dortigen Uni ist und ein gewisser Ronald Schill schon 2001 19,4 Prozent der Stimmen bekam.

WennTabubrüche vollzogen sind

Die vox populi ist in der Tat schwer zu fassen, geschweige denn zu kontrollieren, und sie ist keineswegs auf Hartz-IV-Empfänger und andere Verlierer beschränkt. Das zu glauben, wäre ein populistisches Vorurteil. Sie ist ein Bauchredner, dem man nur schwer das Wort wieder entziehen kann. Dass der Populismus in Deutschland lange Zeit einen schwereren Stand hatte als in den europäischen Nachbarländern, hat mit unserer Geschichte zu tun, die sogenannte Tabubrüche entschiedener verurteilt als anderswo. Wenn sie dann aber erst einmal vollzogen sind, kann es sein, dass die Schleusen sich weiter öffnen als etwa in den Niederlanden oder in Dänemark, das wäre abzuwarten. Und schließlich wollen doch auch wir aufgeklärten Demokraten endlich mal sagen können, dass wir zwar religiöse Intoleranz für absolut inakzeptabel halten, dass wir aber insgeheim zum Beispiel das Märchen vom im Grunde friedlichen Islam schon lange nicht mehr glauben. Und da gäbe es noch einige andere Sachen, die wir schon immer mal sagen wollten, aber das sparen wir uns besser noch etwas auf, das muss man gut vorbereiten.

In Wahrheit hat der Populismus in Deutschland nicht mit Bernd Lucke und seinen Mitstreitern begonnen. Dann wäre er auch nicht so schlimm, sondern hätte etwa das Niveau von Olaf Henkel. Es braucht für den deutschen Populismus auch nicht erst die Zukurzgekommenen aus der verblichenen DDR. Jeder Wahlkämpfer war seit jeher ein Populist, und jeder potentielle Wähler war es auch. Große Populisten wie Gerhard Schröder und Tony Blair haben es weit gebracht. Die Älteren seien an den Giganten Franz Josef Strauß erinnert, der der vox populi jederzeit aus der Seele sprechen konnte und nach dem später immerhin ein real existierender Flughafen benannt wurde.

Wo Politik nur noch auf den Konsens zielt und jeglichen Konflikt scheut, darin stimme ich mit Chantal Mouffe überein, wo sie also entpolitisiert und verlogen wird, da schlägt eben die Stunde des Populismus. Das ist aber genau die Methode Merkel. Gleich am Tag nach den Wahlen in Thüringen und Brandenburg hat die Kanzlerin in ihrer unnachahmlich verwaschenen und verwischenden Art gesagt, die beste Antwort auf den Populismus sei eine gute Regierungspolitik, dann erledige sich das Problem von selbst. Den Lucke und den Henkel und die Petry, soll das heißen, die gibt’s eigentlich gar nicht.

Der Kollege Seehofer aus München weiß es etwas genauer und sagt völlig richtig, dass man all diese Ängste, Sorgen, auch Ressentiments ernst nehmen muss. Und der Horst kennt sich mit Populismus ganz gewiss aus, denn ohne das wirst du in Bayern nie und nimmer Ministerpräsident. Sagt der norddeutsche Populist, für den das größte Unglück auf der ganzen Welt ohnehin der FC Bayern München ist.